Stephan Rieke, Investment Office Private Wealth Management ODDO BHF

US-Geldpolitik:
Die Zinssenkungen gehen voraussichtlich weiter.

Am 10. Dezember versammeln sich die Mitglieder des Offenmarktausschusses der US-Notenbank Fed zur letzten Sitzung des Jahres 2025. Das Gremium, das über die Geldpolitik der US-Notenbank entscheidet, scheint in der Frage nach einer weiteren Leitzinssenkung im Dezember tief gespalten.1) Nachdem Fed-Chef Jerome Powell bei der Pressekonferenz im Oktober darauf hingewiesen hatte, dass eine weitere Zinssenkung im Dezember keine „ausgemachte Sache“ sei, zählen die Marktbeobachter mittlerweile, welches stimmberechtigte Mitglied des Offenmarktausschusses sich für oder gegen den Zinsschritt ausspricht oder aussprechen könnte. Die laufende Auseinandersetzung, in der – was ungewöhnlich ist – Mitglieder des Leitungsgremiums (Board of Governors) der Fed im Vorfeld einer Sitzung persönliche Positionen kundtun, markiert einen Kulturwechsel und lässt eine Verschiebung der politischen Gewichte erkennen. Wir rechnen damit, dass sich die „Zinssenker“ durchsetzen werden.

Die ungewöhnliche öffentliche Umstrittenheit der Entscheidung spiegelt sich in den Erwartungen des Marktes. Ursprünglich, vor der FOMC-Sitzung im Oktober, galt der Dezember-Schritt noch als sehr sicher. Nach der Pressekonferenz von Ende Oktober allerdings fiel die aus den Terminkontrakten abgeleitete Wahrscheinlichkeit eines Zinsschritts (von 25 Basispunkten) auf rund 70 Prozent. Unter dem Einfluss verschiedener Stellungnahmen aus dem FOMC nahmen die Zweifel bis Mitte November deutlich zu. Eine Mehrheit war nun davon überzeugt, dass der Zinsschritt ausbleiben würde. Ende vergangener Woche schließlich drehte das Bild dann erneut zugunsten der Zinssenkung. Am Freitag hatte der Chef der New York Fed, John Williams, seine Bereitschaft angedeutet, für eine Rücknahme des Leitzinses zu stimmen. Entsprechend setzen die Märkte die Wahrscheinlichkeit für einen Zinsschritt wieder mit gut 70 Prozent an (siehe Abbildung).

Daten können hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Zukunft unterschiedlich gedeutet werden. Auch die Zielvorstellungen der Mitglieder im Gremium unterscheiden sich. Zusätzlich ist die Unsicherheit über die aktuelle wirtschaftliche Lage deutlich größer als normal, weil dank des Shutdowns viele wichtige Wirtschaftsdaten nicht, noch nicht oder wegen des Shutdowns verzerrt vorliegen. Es fehlen beispielsweise Inflationsdaten ab Oktober, ebenso die offiziellen Arbeitsmarktdaten. Für Verbraucherpreise und Arbeitslosenzahlen im Oktober wird es vermutlich gar keine Zahlen geben. Auch die Daten zur allgemeinen wirtschaftlichen Aktivität, unter anderem Einzelhandelsumsätze, Industrieproduktion, Auftragsentwicklung und Außenhandel werden nur mit großer Verzögerung nachgeliefert. Und erst kurz vor Weihnachten sollen die vorläufigen Ergebnisse für das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal veröffentlicht werden.

Diese Unsicherheit der Situation liefert einen fruchtbaren Boden für Meinungsverschiedenheiten. Die wirtschaftswissenschaftliche Empfehlung zur (geld-)politischen Vorgehensweise bei Unsicherheit ist allerdings meist, behutsam vorzugehen. Das spräche eher dafür, nach zwei Zinssenkungen im September (17.) und Oktober (29.), die als „Versicherung“ gegen eine Abschwächung des Arbeitsmarktes deklariert worden waren, eine kleine Pause einzulegen und eine Klärung der Lage bzw. die weitere Entwicklung abzuwarten.

Speziell die trumpnahen Mitglieder des Offenmarktausschusses, vor allem Christopher Waller (der ein Kandidat für die Nachfolge von Jerome Powell ist) und Stephen Miran, drängen auf eine Zinssenkung, aber auch der Präsident der New York Fed, John Williams, Fed Gouverneurin Lisa Cook und die Präsidentin der San Francisco Fed Daly haben ihre Bereitschaft zu Zinssenkungen durchblicken lassen. Michelle Bowman, die als Stellvertretende Vorsitzende für die Bankenaufsicht zuständig ist, hält sich öffentlich bedeckt, dürfte aber der Zinssenkungsfraktion zugerechnet werden können. Auch der zweite Stellvertretende Vorsitzende, Philip Jefferson, scheint Richtung Zinssenkung zu neigen, so dass eine klare Mehrheit der Fed-Gouverneure (Jerome Powell: offen, Michael Barr: Tendenz zum Halten) bzw. mehr als die Hälfte der 12 Mitglieder des FOMC für eine Senkung positioniert zu sein scheint. Deutlicher gegen eine Zinssenkung zu diesem Zeitpunkt haben sich dagegen vier stimmberechtigte Präsidenten der regionalen Reservebanken (Schmid, Musalem, Collins, Goolsbee) ausgesprochen.

Diejenigen, die sich gegen die Zinssenkung ausgesprochen haben, betonen vor allem die Überschreitung des Inflationsziels und die Inflationsrisiken durch die Einfuhrzölle, insbesondere vor dem Hintergrund des nach wie vor soliden Wachstums und niedriger Arbeitslosigkeit. Die andere Seite argumentiert dagegen vor allem mit dem deutlich verlangsamten Beschäftigungswachstum und dem vorübergehenden Charakter des (als moderat eingeschätzten) Preisdrucks. Es findet sich aber auch die Überlegung, dass der Leitzins angesichts von gegenläufigen Risiken (Inflation aufwärts, Beschäftigung abwärts) grundsätzlich deutlich niedriger bzw. näher am „neutralen Niveau“ liegen sollte.2) Die FOMC-Mitglieder veranschlagen das „langfristige Leitzinsniveau“ (als Annäherung an das neutrale nominale Niveau) derzeit im Mittel auf rund 3 Prozent.

Ob eine Zinssenkung die volkswirtschaftlich richtige Entscheidung ist, mag dahingestellt sein. Die einfache Taylor-Regel beispielsweise, die aus der Produktionslücke (bzw. alternativ der Unterbeschäftigung) und der Abweichung vom Inflationsziel einen Soll-Zinssatz ableitet, empfiehlt derzeit für die USA meist ein Leitzinsniveau von 4 Prozent und höher. Dennoch vermuten wir, dass sich die „Zinssenker“ durchsetzen werden – und das nicht nur im Dezember. Wir rechnen damit, dass die Leitzinsen im neuen Jahr weiter zurückgenommen werden. Zum einen ist wahrscheinlich, dass sich die US-Inflation zum Ende des Jahres 2026 leicht zurückzubilden beginnt. Zum anderen haben die geldpolitischen „Tauben“ im Board of Governors größeres Gewicht bekommen.  Diese Verschiebung der politischen Gewichte innerhalb des Boards, die von Donald Trump politisch vorangetrieben wird, dürfte sich im nächsten Jahr mit der Einsetzung des Nachfolgers für den scheidenden Fed-Chef Jerome Powell fortsetzten. Als Favorit gilt aktuellen Meldungen zufolge Kevin Hasset, der Vorsitzende des National Economic Councils. Er ist ein enger Vertrauter des Präsidenten, der die geldpolitischen Vorstellungen von Donald Trump in die Fed hineintragen dürfte. Das dürfte für die Aktienmärkte, die auf den Entzug geldpolitischer Unterstützung oft „verschnupft“ reagieren, erst einmal eine gute Nachricht sein.

Stephan Rieke

1) Der Offenmarktausschuss (Federal Open Market Committee, FOMC) ist ein zwölfköpfiges Gremium, das in den USA die geldpolitischen Entscheidungen trifft. Das FOMC setzt sich aus den sieben Mitgliedern des Board of Governors des Federal Reserve Systems sowie den Präsidenten der regionalen Federal Reserve Banks zusammen. Von den regionalen Vertretern stimmberechtigt sind der Präsident der New York Fed sowie, auf rotierender Basis, vier weitere regionale Präsidenten. Den Vorsitz des FOMC hat der Chairman of the Board of Governors, Jerome Powell.

2) Der neutrale Zinssatz ist der kurzfristige Zinssatz, der vorherrschen würde, wenn die Wirtschaft vollbeschäftigt und die Inflation stabil wäre. Die Geldpolitik ist dann weder expansiv noch restriktiv. Der neutrale Satz leitet sich aus längerfristigen, strukturellen Gegebenheiten einer Volkswirtschaft (insb. Entwicklung des Arbeitskräfteangebots und der Produktivität) ab und wird typischerweise als „realer“ (bereinigt um Inflationserwartungen) betrachtet. Man kommt auf den nominalen Satz, indem man die angestrebte Inflationsrate (Ziel von 2 Prozent) zum realen Satz addiert. Der oben angegebene Satz ist nominal.

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