Stephan Rieke und Christian von Hiller, Investment Office Private Wealth Management ODDO BHF
Keine nachhaltig niedrigeren Renditen bei langfristigen Anleihen
Die Anleihemärkte erleben gerade unruhige Zeiten. Anfang September schallten noch Warnungen vor steigenden langfristigen Anleiherenditen durch den Blätterwald. Vor allem das ganz lange Ende der amerikanischen Zinskurve, die Rendite des 30jährigen „Long Bonds“, steuerte damals auf die kritische Zone oberhalb von 5 Prozent zu. Im Verlauf von 2025 hatte die Rendite diese Marke einige Male touchiert oder sogar kurzzeitig überschritten, aber nicht dauerhaft durchbrechen können (siehe Grafik 1).

Verstärkt wurde die kritische Stimmung gegenüber Staatsanleihen durch die Spannungen an den europäischen Märkten. In Frankreich, wo die Regierung Bayrou Anfang dieser Woche über den Versuch von Haushaltseinsparungen scheiterte, hatten die Renditen im August kräftig angezogen und dabei auch die Märkte von anderen Euro-Staaten wie Italien oder Spanien in Mitleidenschaft gezogen. Die zehnjährige Rendite französischer OATs stieg in dieser Phase um etwa 20 Basispunkte auf knapp 3,60 Prozent, der Renditeabstand gegenüber der vergleichbaren Bundesanleihe weitete sich auf mehr als 80 Basispunkte aus.
Die Hochstände der langfristigen Renditen blieben aber von kurzer Dauer. Die Veröffentlichung des US-Arbeitsmarktberichts für August und die nachfolgende Veröffentlichung der sogenannten Benchmark-Revision für die US-Arbeitsmarktzahlen der Monate April 2024 bis März 2025 (durch die die Beschäftigtenzahlen über den 12 Monats-Zeitraum um 911.000 niedriger ausfallen als bisher ausgewiesen) lösten einen starken Kursschub bei langfristigen US-Staatsanleihen aus. Die 30jährige US-Rendite fiel innerhalb weniger Tage um 30 Basispunkte auf aktuell etwa 4,7 Prozent; die 10jährige Rendite fiel um etwa 20 Basispunkte bis in die Nähe von 4 Prozent. In Europa zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Renditeniveaus bildeten sich in dieser Phase um mehr als 10 Stellen zurück. Zehnjährige Bundesanleihen, die zeitweise Richtung 2,8 Prozent marschiert waren, rentieren aktuell bei 2,66 Prozent. An den Renditedifferenzen änderte sich aber nur wenig.
Nehmen wir nun auf Kurs zurück in eine Niedrigzins-Welt? Wir glauben nicht. Die Anleihemärkte schwanken derzeit zwischen verschiedenen Szenarien. Die jüngste Marktbewegung folgt dem klassischen Reaktionsmuster bei einsetzender Rezession: Schwaches Wachstum und schwache Beschäftigungsentwicklung befeuern Zinssenkungserwartungen. Zum Rückgang der langfristigen Renditen kommt es, weil die Nachfrageschwäche die Inflationsrisken vermindert, weil Anleger die noch hohen langfristigen Renditen dauerhaft festzuschreiben versuchen und weil Anleger eine bescheidene, aber sichere Rendite am Anleihemarkt gegenüber unsicheren Erträgen am Aktienmarkt bevorzugen.
Die aktuelle wirtschaftliche Situation der USA passt aber nach unserer Überzeugung nicht in dieses Schema. Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin niedrig, und möglicherweise sorgen angebotsseitige Faktoren wie z.B. die hohe Zahl der Ausweisungen dafür, dass die Arbeitslosenquote nicht wesentlich steigt. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit einer echten Rezession gering. Denn die massiven Investitionen in Datencenter und andere IT-Ausrüstungsgüter sorgen beispielsweise im Technologiesektor für eine Sonderkonjunktur und liefern inzwischen einen nennenswerten Beitrag zum Wirtschaftswachstum. Das dürfte helfen, eine Rezession zu vermeiden. Einkaufsmanagerindizes und andere Vorlaufindikatoren – zuletzt konnten wir auch eine Erholung beim ISM-Index beobachten – lassen für die USA ein Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in der Größenordnung von 1,5 bis 2 Prozent erwarten. Das ist deutlich niedriger als in den Jahren zuvor, aber nahe bei den Schätzungen für das Potenzialwachstum in den USA.
Aus ökonomischer Sicht ergeben sich durch die geringere Dynamik der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes Spielräume für Zinssenkungen der US-Notenbank. Aktuell preisen die Terminmärkte für das laufende Jahr 3 Schritte (insgesamt 75 Basispunkte), für das Jahr 2026 drei weitere Schritte nach unten ein. Diese Lockerungen würden den Leitzins unter die 3 Prozent-Marke bringen. Es ist aber nicht zwangsläufig, dass die Lockerung der Geldpolitik auch die Renditen am langen Ende der Zinskurve – etwa im Laufzeitbereich von zehn bis 30 Jahre – massiv nach unten bringt. Vor allem zwei Faktoren sprechen nach unserer Einschätzung dagegen.
Erstens, die Inflationsentwicklung. Der Anstieg der Verbraucherpreise in den USA lag im August bei 2,9 Prozent, die Kernrate erreichte 3,1 Prozent. Die Durchleitung der Einfuhrzölle an die Verbraucher könnte dazu führen, dass sich die Inflationsraten in den kommenden Monaten noch etwas weiter von Zielvorstellungen der Fed entfernen. Auch der Anstieg der Stundenlöhne ist mit zuletzt 3,7 Prozent immer noch hoch. Die weitere Entwicklung der Inflation dürfte – auch unter den sich ändernden politischen Vorzeichen – wesentlichen Einfluss darauf haben, wie schnell die Notenbank mit Zinssenkungen voranschreitet.
Sollten die Anleihemärkte den Eindruck bekommen, dass die Notenbank den Inflationsrisiken zu wenig Aufmerksamkeit schenkt, kann das zu einem Anstieg der Laufzeitprämie und höheren langfristigen Renditen führen. Aggressive Zinssenkungen, wie US-Präsident Trump sie sich vorstellt, könnten das Gegenteil dessen bewirken, was er sich wünscht.1) Schon der zunehmende Einfluss der US-Regierung auf die Notenbank ist ein Faktor, der – weil er die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik bei der Inflationsbekämpfung beschädigt – zu strukturell höheren Renditen beitragen kann.
Zweitens, die Höhe der Staatsverschuldung und das Ausmaß der Neuverschuldung. Der One Big Beautiful Bill Act der US-Regierung lässt den Verschuldungspfad in der Tendenz steiler werden. Die signifikanten Mehreinnahmen durch die Einfuhrzölle kompensieren diesen Effekt nur unvollständig. Darüber hinaus ist die Rechtsgrundlage der Einfuhrzölle unsicher. Nach aktuellem Stand unserer Schätzungen wird sich das Haushaltsdefizit der USA in den kommenden Jahren in der Größenordnung von 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bewegen. Das würde bedeuten, dass die Schuldenquote, die aktuell bei rund 120 Prozent des BIP steht, weiter steigen wird.
Schließlich gibt es innerhalb der Fed Überlegungen, den 4 Billionen Dollar-Bestand an Staatsanleihen umzuschichten. Kern des Plans ist es, die durchschnittliche Laufzeit der Staatsanleihebestände durch Umschichtung von langfristigen Titeln zu Kurzläufern zu verkürzen.2) Die Umschichtung soll primär das Zinsänderungsrisiko in der Bilanz der Fed verringern. Die Laufzeitverkürzung passt aber auch in die politische Landschaft. Denn das US-Finanzministerium ist durchaus an kostengünstigen Finanzierungsmöglichkeiten in kurzen Laufzeiten interessiert ist. Der Nachteil: Wenn die Fed langfristige Papiere abgibt, drückt zusätzliches Angebot in den Markt. Das spräche ebenfalls gegen sinkende Renditen.
Wir gehen deshalb davon aus, dass die Renditen im langfristigen Laufzeitbereich nicht nachhaltig sinken werden. Die wirtschaftliche Lage ist nach unserer Einschätzung trotz der Schwäche des Arbeitsmarktes nach wie vor relativ robust, die Wirtschaft ist nicht auf dem Weg in eine Rezession. Die Inflationsrisiken sind bisher nicht verschwunden, die hohe Staatsdefizite beanspruchen den Kapitalmarkt. Die Zinskurve bleibt voraussichtlich steil. Wir sind nicht auf dem Weg in eine neue Niedrigzinsphase.
Stephan Rieke und Christian von Hiller
1) US-Präsident Donald Trump hatte einen Notenbanksatz von 1 Prozent gefordert.
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